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Zwei Schlösser

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Beitrag  JenJen So 08 Jun 2014, 14:01

Ich lebe in einem Schloss, einer Festung beinahe. Starke Wände und tiefe Gräben schützen die unermesslichen Schätze im Inneren meines kleinen Reiches. Die Wände mit Gold vertäfelt, der Boden mit Edelsteinen besetzt, die Kronleuchter aus puren Diamant und die Decken mit feinstem Brokat verhangen. Oft spähen neugierige Augen durch meine Fenster, doch ich beachtete sie nicht. Welche Gesellschaft brauche ich schon, die nur meinen Besitz neidet? Ich bin doch glücklich, allein.
Ich habe große Ländereien und oft gehe ich in den weiten Feldern, die sich bis zum Horizont erstrecken, spazieren. Meine Wälder sind uralt und wertvoll, meine Pferde die besten im ganzen Land. Auf meinen Getreidefeldern wächst pures Gold und an den Apfelbäumen hängen Rubine. Das alles ist allein meins, mein ganzes Leben. Mir fehlt es an nichts.
Doch eines Tages ging ich so weit, dass ich die Grenzen meiner kleinen, reichen Welt erreichte. Und wie ich so in die Ferne schaute und den fremden Horizont begutachtete, entdeckte ich ein fremdes Schloss. Ein Schloss, wie ich noch nie ein schöneres gesehen hatte. Die Wände, Mauern und Wachtürme wirkten so filigran und zerbrechlich, dass ich es erst nicht wagte, diese Schönheit anzutasten.
Die Wolken umschmeichelten die höchsten Türme so sanft, als könne der leiseste Windhauch sie umstoßen. Doch zugleich war ich davon überzeugt, dass dieses Schloss dennoch voller Stärke war und dass es so einigem trotzen konnte.
Zögernd tat ich einige Schritte auf dieses Schloss zu, doch blieb dann wieder stehen. Die Wiesen um das Schloss herum wirkten so viel grüner und saftiger, als meine. Der kleine, junge Wald schien ewigen Frühling zu verbreiteten. Ein glitzernder, blauer Fluss schien sich mit ungetrübter Reinheit um das Schloss zu winden.
Ich wagte es nicht, diese vollkommene Harmonie mit meiner Anwesenheit zu durchbrechen. So ging ich zurück zu meinem eigenen Schloss, das mir nun wie ein einfacher, grauer Kasten, in einer gewöhnlichen grauen Welt vorkam. Ich umgab mich mit all meinen Diamanten, Amethysten, Rubinen, Saphiren, denn solche Reichtümer hatte ich nicht in diesem fremden Reich sehen können. Und dennoch wirkte ihr Glanz nur noch matt und farblos und vermochte mich nicht mehr mit Freude zu erfüllen.
So wanderte ich einige Tage später erneut zu dem fremden Schloss, fühlte mich fremd und geborgen zugleich, in diesem Land, dass keine Reichtümer besaß und doch viel reicher zu sein schien, als das meine.
Ich klopfte ehrfürchtig an die schweren Pforten und eine zarte Stimme, schöner als jede Melodie, die ich je gehört hatte, antwortete, doch die Tore wurden mir nicht geöffnet. Also beschloss ich, der Herrin dieses Schlosses Briefe zu schreiben und auf diese Weise entwickelte sich eine Freundschaft, die mein tiefstes Inneres mit einer Wärme erfüllte, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Und mit einem Mal wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ihre Gesellschaft. Nie zuvor, hatte ich jemanden in mein Reich gelassen, denn nie zuvor hatte ich mich einsam gefühlt. Doch jetzt wirkte alles so leer und unvollständig, ohne einer zweiten Seele.
So lud ich die Herrin des fremden Schlossen zu mir ein und öffnete die Tore weit für sie. Zuvor hatte ich Stunden damit verbracht, alle Brillanten zu polieren, bis sich das Licht darin in tausende kleine Regenbögen brach; Alle Teppiche auszuklopfen, bis sie aussahen, wie neu; alles herzurichten, damit es wirklich perfekt war.
Und dann war der Tag gekommen. Mein Land schien dort, wo sie ihre Füße hinsetzte von einem Frühling überzogen zu werden, der die Farben zurück in mein Leben brachten. Vor meinem Schloss zögerte sie nur kurz und trat dann einige Schritte ein. Der Glanz meiner Reichtümer umschmeichelte ihre Gestalt auf magische Weise. Sie wirkte wie eine Göttin in meiner Halle und ich konnte sie kaum ansehen, ohne von dieser Schönheit geblendet zu werden.
Und als sie mein Reich wieder verließ, war es, als hätte sie alles Glück mit sich genommen und nur eine kaum zu ertragene, unendliche Sehnsucht hinterlassen.
Ich ging persönlich zu ihrem Schloss, um ihr eine weitere Einladung zukommen zu lassen. Denn nichts hatte mich jemals so sehr erfreut, wie sie in meiner Nähe zu haben. Als ich aber an ihrem Schloss ankam, bemerkte ich, dass die Tore einen winzigen Spalt offen standen. Neugierig spähte ich hindurch und erblickte das Paradies. Die herrlichsten Blüten überall, versprühten einen betörend süßen Duft, der die buntesten Schmetterlinge anzog und den Kehlen der Vögel die vollkommendsten Melodien entlockte. In kleinen Teichen schwammen hunderte Fische und an den Ufern quakten Frösche und nisteten Enten. Ich erblickte so viel lebendiger Schönheit und mein eigenes Leben schien zu schrumpfen und wurde unbedeutend.
Auf leisen Sohlen wollte ich mich hinein schleichen, wollte ich von diesem Leben kosten, da knallte die Herrin des Schlosses mir die Tore wieder vor der Nase zu.
Unfähig mich zu bewegen starrte ich auf das massive Holz, dass mir den Weg zum herrlichsten Ort dieser Realität versperrte. Verzweifelt fing ich an, gegen die Tore zu Hämmern, an den Fugen der Mauern zu kratzen und um Einlass zu betteln.
Ich rannte gegen Steine an, versuchte spiegelglatte Wände zu erklimmen, doch ich kam nicht einen Millimeter voran.
Schließlich kehrte ich zu meinem eigenen Schloss zurück, doch seine Räume fühlten sich kalt und trostlos an. In dem unbändigen Wunsch, in einem solchen Paradies zu leben, wie ich es nur einmal kurz erblicken durfte, begann ich aus meinem wertvollsten Rubin eine Rose zu formen. Ich arbeitete Stunden an den filigran geschwungenen Blättern, die eine niemals welkende Blüte formten. Doch der kalte, tote Stein würde niemals so lebendig sein und so herrlich duften und niemals würde ich so den Frühling in mein sterbendes Land holen.
Noch schrieb ich der Herrin des fernen Schlosses Briefe, doch ihre Antworten waren distanziert und die Wärme, die mich einst erfüllt hatte, wich einer schmerzenden Kälte, die mich mit jedem Tag mehr verzerrte. So schloss ich die tote, kristallene Rose und all meine Erinnerungen in den kleinsten Raum meines Schlosses und bemühte mich fortan, so weiter zu leben, wie ich es getan hatte, bevor ich die fremden Türme am Horizont erblickt hatte. Ich begann den kleinen Raum mit seinem eingeschlossenem Schmerz zu vergessen, lies die Tür von Spinnweben verschleiern und meidete sogar den Gang, der zu dieser Tür führte. Ich setzte mein altes, bequemes Leben fort.
Eines Tages klopfte jemand an meine Tore. Es war eine Herrin, mit einem Schloss wie das meine. Die Wände mit Gold vertäfelt, der Boden mit Edelsteinen besetzt, die Kronleuchter aus purem Diamant und die Decken mit feinstem Brokat verhangen. Ich öffnete ihre meine Tore und sie mir ihre. Wir besuchten uns regelmäßig und fachsimpelten über Dinge, die wir längst wussten. Ich war zufrieden und fühlte mich sicher, denn nichts konnte mich überraschen oder verwirren. Alles bei ihr war genauso wie bei mir. Ihre Gegenwart fiel mir nicht weiter auf, denn ihre Schritte waren dieselben wie meine und ihre Worte eine Kopie meiner Gedanken. Ich verfiel in einen Trott und das Leben zog an mir vorbei, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen.
Bis ich eines Tages wieder vor dem kleinen Raum stand. Hinter der Tür schien es zu klopfen und nach mir zu rufen, ich versuchte es zu ignorieren, doch vergebens. Verzweifelt fiel ich auf die Knie und streckte meine Hand aus, um die Spinnweben wegzuwischen. Doch noch immer wandelte die andere Herrin in meinem Reich und aus Angst, sie könne diesen Raum entdecken, wollte ich ihn zunächst vor ihr verbergen. Doch meine Gedanken waren auch ihre, und so verlangte sie heftig zu wissen, was sich hinter dieser kleinen Tür verberge. Ich stieß sie hinaus. Ich wollte sie nicht länger in meinem Reich wissen. Ich verlor nichts, denn was sie besaß, besaß auch ich. Bis auf den Inhalt dieses einen Raumes.
Erschreckend einfach öffnete sich die vergessene Tür wieder für mich und ich lies zu, dass all die Erinnerungen, die ich weggesperrt hatte, zu mir zurück kamen.
Die Erinnerungen an diese vollkommene, lebendige Schönheit des Fremden Schlosses und an die Wärme in meinem Inneren, die einst die Worte der Herrin in mir hervorgerufen hatten, durchfluteten mich und nahmen mich ganz ein. Und zum ersten Mal wurde mir wirklich bewusst, wie leblos die Schätze waren, mit denen ich mich umgab; wie tot ich selber bereits war, denn ich lebte mein Leben nicht. Das einzige, was mich noch am Leben erhält, ist diese unbeschreibliche Sehnsucht, die jede Faser meins Körpers durchdringt.
So kam es, dass ich erneut mein Reich verließ und den Ort all dieser Erinnerungen erneut aufsuchte. Eine magische Anziehungskraft ging von dem Inneren des Schlosses aus, sodass ich zerrissen wurde und doch nicht hinein konnte. Ich wollte erneut um Einlass bitten, wollte mich entschuldigen und alles dafür tun, um erneut diese Wärme und dieses Leben erfahren zu dürfen. Doch ich fürchtete mich davor, abgewiesen zu werden. Also blieb ich vor den Toren sitzen und formte aus den toten Schätzen meiner Burg Nachbilder des Lebens auf der anderen Seite dieser Mauern. Eines Tages werde ich vielleicht das Glück erfahren, hineingebeten zu werden.
Selbst wenn ich ewig darauf warten sollte.
JenJen
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